Liebe Anne …

20.1.2013

Es ist jetzt ein Jahr her, dass du mir am Telefon von deinem Faschingskostüm für das Jahr 2012 erzähltest. Harry Potter sollte es sein, denn du hattest gerade die ersten Bücher der Reihe gelesen! Und Mama und Papa kauften dir für dein Kostüm sogar eine schwarze Hose von der Firma XXX!

Aus unserem Telefonat und den Fragen die sich daraus ergaben, entstand „ MORMOR-design“.
Die erste Frage war: wie oft soll man deine neue schwarze Hose vor dem ersten Tragen waschen? Die Gefahr , dass sich besonders in Kleidung mit dunklen oder leuchtenden Farben schädliche Stoffe befinden, ist sehr groß. Denn um Stoffe und Kleidung in solch leuchtenden Farben herzustellen, werden viele sehr ungesunde Chemikalien verwendet. Du weißt ja vom Papa, dass es auch „gesunde“ Chemikalien gibt! ( z.B. Arzneimittel)

Die ungesunden Chemikalien werden beim Tragen ungewaschener Kleidungsstücke durch die Haut vom Körper aufgenommen. Viele werden beim Pinkeln ausgeschieden, viele lagern sich aber im Körper in verschiedenen Organen ab. Sie können eine große Gefahr für die Gesundheit darstellen. Das weiß man heute, denn es gibt Untersuchungen dazu. Welche Krankheiten daraus entstehen, das traut sich niemand laut zu sagen … . Es wird in den Medien nur wenig davon berichtet oder man weiß es auch noch nicht genau!

Zuerst ging es mir ja wirklich nur um diese Waschfrage: Wie oft sollte der Verbraucher ein neues Kleidungsstück vor dem ersten Tragen waschen, damit möglichst viele dieser ungesunden Inhaltsstoffe ausgewaschen werden ? Da drängt sich auch noch die Frage auf: Was geschieht damit, wenn sie im Abwasser und damit in der Umwelt landen? Auf diese Idee hast du mich mit deinen Fragen gebracht.

Ich stellte mehreren „klugen“ Institutionen diese Frage. Leider konnten (Oder wollten? Oder durften? Oder sollten?) sie keine eindeutige Antwort geben.

Aber ich wollte nicht einfach aufgeben und überlegte: Was können wir selbst tun, um möglichst wenige der Giftstoffe in den Kleidern durch unsere Haut aufzunehmen?

So fing ich an, „andersherum“ zu arbeiten, nämlich aus alten, getragenen, oft gewaschenen Kleidungsstücken, Gardinen und Tischdecken usw., „neue“ Kleider und Sachen, die man so braucht, zu nähen. Ich erzählte Freunden und Bekannten von meiner Idee … und es kamen MASSENWEISE Textilien bei mir an!

Darunter waren auch neue Stoffe, woraus die Leute eigentlich einmal etwas nähen wollten, aber nie dazu kamen. Zuerst dachte ich, es passt nicht zur Idee von MORMOR- design, aus neuen Stoffen etwas zu nähen! Aber dann wurde mir klar, dass es sehr gut passt:
• Erstens kann ich die Stoffe ja waschen (und ich habe inzwischen wäscheleinenmeter Stoffe gewaschen!),
• zweitens muss eine Tasche oder ein Schmeiß-rein-Büdel nicht unbedingt aus gewaschenem Stoff hergestellt werden und
• drittens, der Stoff ist ja schon da, irgendwer hat irgendwo diese Stoffe hergestellt und viel Arbeit und Energie bei der Herstellung hineingesteckt und viele Rohstoffe verbraucht. Man sagt auch, viele Ressourcen eingesetzt.
Das darf man doch nicht einfach wegschmeißen!

Damit kam ich auf die Idee, mein Wissen, auch das, was man mit der Nähmaschine so alles machen kann, an andere und vor allem an junge Mütter weiterzugeben. Vor allem dachte ich daran, aus vielfach gewaschenen Teilen Babykleider zu nähen, um die empfindliche Haut der Kleinsten vor Giftstoffen zu schützen.

So entstanden im letzten Jahr viele Kurse hier im Wohnzimmer. Wir fertigten meist Kinderkleidung an. Es war für mich die helle Freude, diese jungen, eifrigen Mütter, meist in Begleitung ihrer „ Wonneproppen“ in meinem Wohnzimmer nähen und experimentieren zu sehen. Dass dies so weitergehen soll und wird, ist klar. Die Nachfrage ist groß.

Bis zu sechs Mamis und sechs Babys sind bei den Nähtreffen hier. Inzwischen haben wir ein Babybett stehen, damit die Krabbelkinder vor Unfällen mit runtergefallenen Stecknadeln und Stromkabeln geschützt sind. Sie kommen dann „hinter Gitter“! Unsere Nachbarinnen Gitta und die Oma von der kleinen Johanna erklärten sich bereit mit den Kinderwagen umher zu fahren. Dann haben die Babymamis etwas Ruhe beim Nähen. Eines der Kleinen sitzt immer auf meinem Arm, oder die Mamis haben sie im Tragegurt vor dem Bauch oder auf dem Rücken. Dort schlafen sie sogar, während die Mami näht. Dein Opa kann auch gut Babys unterhalten.

Die Kurse mit den jüngeren Mädchen sind auch immer lustig. Du hast es ja selbst erlebt beim Nähen mit Johanna. Wir machen so Sachen wie den „ Schmeiß-rein-Büdel“ und die Jeanstasche, die du ja auch schon nähen kannst. Und denke nur an den Zaubermantel von Harry Potter, den du dir genäht hast! Und an Johannas Röcke aus den T-Shirts von Mecky und Apo und die Tube-Schals!

Immer öfter kommen jetzt Mamis, die größere Kinder haben, die nur etwas Mut und Anleitung zum Nähen brauchen oder ihren Umgang mit den Nähmaschinen auffrischen wollen. Auch viele Studenten kommen, die einfach nicht wollen, dass man Kleidung gleich wegwirft, wenn ein Loch in der Hose ist oder im Pullover. Ein Student war schon ganz oft da, wir änderten beim letzten Treff zwei „alte“ Pullover passend für ihn. Er ist ganz stolz nach Hause gefahren und will sich jetzt endlich eine Nähmaschine kaufen. Natürlich eine gebrauchte!

Sehr froh bin ich, dass ich immer öfter zu Vorträgen eingeladen werde. Ich nehme die kleinen Anziehsachen mit und zeige so, was man alles ganz einfach aus alten Klamotten machen kann. Dann hören mir die Zuhörer auch wirklich zu, wenn ich über die Textilgifte spreche. Viele denken, sie können die Klamöttchen kaufen, aber das will ich nicht! Ich zeige gerne, wie es geht! Und für die Kurse nehme ich nur das Geld für das Material, das verbraucht wurde. Es geht nach dem Prinzip „WIN-WIN“. Das bedeutet, jeder gewinnt: ich zeige dir wie das mit der Nähmaschine geht, und du machst für mich, was du gut kannst. Im Garten helfen, das Fahrrad putzen oder einen Artikel aus dem Englischen übersetzen (… das kann ich nicht so gut!)

Bis in den Sommer hinein habe ich schon Anfragen für Veranstaltung: Im Juni bin ich z.B. bei einer der Aktionen von „Saubere Kleidung“. Da geht es nicht um frisch gewaschene Kleidung! Es ist im übertragenen Sinn gemeint: bei der Textilherstellung sind die Arbeitsbedingungen für die Menschen die in den Textilfabriken arbeiten, meist in Asien und Afrika, oft sehr, sehr schlecht. Stelle dir vor, im Dezember sind wieder zwei große Textilfabriken abgebrannt … und die Menschen konnten nicht fliehen, denn die Fabriktore waren abgeschlossen und deshalb verbrannten die Arbeiter auch.

Oft liegen solche Unglücksereignisse an mangelhafter Technik in den Gebäuden, an extrem schlechten Arbeitsbedingungen und überlangen Arbeitszeiten. Die Arbeiter aus den „Niedriglohnländern“ verdienen so schlecht, dass sie oft bis in die Nacht hinein arbeiten, um überhaupt von dem Lohn leben zu können. Das alles nur, damit wir billige T-Shirts und Hosen kaufen können!!!!

Die Organisation „Saubere Kleidung“ (…ist im übertragenen Sinngemeint!) kümmert sich darum, dass diese Menschen bessere Arbeitsbedingungen bekommen.....Hoffen wir, dass es ihnen und anderen gelingt. Sie informieren uns Verbraucher, damit wir den Zusammenhang zwischen Ausbeutung der Arbeiter in Fernost und unsere Gewohnheiten, möglichst billige Kleider kaufen zu können, begreifen. Wir alle müssen lernen, bewusster Textilien zu kaufen. Wir Verbraucher müssen in den Geschäften nachfragen, woher die Kleidung kommt, ob sie fair hergestellt ist, ob Kinder in den Fabriken arbeiten, wie viel Textilgifte in der Kleidung sind usw. Damit zeigen wir Interesse und Kritikfähigkeit. Wir können Druck ausüben, wenn wir belastete Dinge nicht kaufen! Leider sind es nicht nur die billigen Stücke, die im fernen Osten hergestellt werden. Es lassen auch die renomierte Firmen dort arbeiten.

Wir Käufer müssen vor dem Kauf unbedingt fragen, wie oft das Kleidungsstück vor dem Tragen gewaschen werden sollte. Denn die Giftstoffe, die bei der Garngewinnung und Herstellung der Kleidungsstücke verwendet wurden müssen heraus, damit sie uns nicht schaden. Wir müssen auch fragen, unter welchen Bedingungen die Arbeiter die Kleidung hergestellt haben. Auch müssen wir uns schlau machen und fragen, was die eingenähten Schildchen bedeuten, die Labels, die uns eigentlich bei der Auswahl helfen sollen. Aber es gibt so viele inzwischen, die für faire und ökologische Ware werben … man kommt ganz durcheinander! Nur wenn wir Verbraucher fragen und auf eine Antwort drängen ändert sich endlich etwas!

Ja, Anne, das alles ist aus dem Telefonat von vor einem Jahr geworden. Ich möchte mich herzlich bei dir für diesen Denkanstoß bedanken.

Wenn MORMOR-design eine richtige Firma wäre, dann würde ich dich zur „Zweiten Vorsitzenden“ machen. So kann ich dich nur fragen:

Liebe Anne, darf ich dich bitten, den Posten der „Zweiten Vorsitzenden ehrenhalber“ von MORMOR-design anzunehmen? Was deine Aufgabe ist? Mir weiter Mut zu machen, diese Arbeit fortzusetzen! Vielleicht berichtest du mir von deinen weiteren Ideen und sagst mir, was ich noch so aus den ollen Klamotten nähen könnte … so was wie Haarbänder aus alten Shirts für ein Hockey-Mädchen…

Liebe Grüße an meine allerliebste Enkelin von deiner echten und einzigen

MORMOR

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